Migration als Motor für eine solidarische Stadtentwicklung Manual
07.12.2024 10:30-18:30, im Berlin Global Village
Panel – Teilhabe, Gerechtigkeit und Zukunft
mit Zuher Jazmati, Dr. Nora Jasmin Ragab, Aylin Himmetoğlu, moderiert von Methu Thavarasa
Migration prägt unsere Städte und ist zentral für eine gerechte und zukunftsfähige Stadtentwicklung. Das Panel beleuchtet konkrete Ansätze, um Zugänge und Mitgestaltungsmöglichkeiten zu schaffen, damit migrantische Erfahrungen und Visionen fest im Stadtbild verankert werden. Ein Dialog über Teilhabe, Gerechtigkeit und die transformative Kraft migrationsgeprägter Stadtentwicklung.
Auszüge aus dem Panel:
Welche Rolle spielt Migration aus deiner Sicht in der Gestaltung urbaner Räume?
Was bedeutet “Recht auf Stadt”?
-Migrantische Personen sind oft am meisten betroffen von Ausgrenzung im urbanen Raum.
-Großstädte werden transnational geprägt
-Diasporische Communities bringen Placemaking Praxis mit → Wie verankert man sich in der Stadt? Denn oft findet eine Entwurzelung statt
-“Dialekte, Musik, Kardamom, Brot prägen die Stadt” →diasporische Räume; Aushandlung der Verortung der Räume und Einfluss dessen
Was bedeutet Migration? Wen kategorisieren wir als Migrant*innen?
ist ein amorpher flexibler Begriff
-Rassistischer, sozialer Code → Wer ist für die deutsche Gesellschaft gut? → “Willkommene” und “Illegale”
-In Berlin kann Englisch als zweite Sprache existieren, ohne dass es als Parallelgesellschaft gilt
Was gibt es noch für Hürden, dass sich migrantische Personen in die Stadtgesellschaft einbringen können?
-Gentrifizierung ist immer ein politisch gewollter Prozess, womit einher eine bewusste Verdrängung geht
-Somit ist es auch ein rassistischer Prozess. Orte sollen Weißer und bürgerlicher gemacht werden
-Framing von Kriminalität
-Razzien in vielen Vierteln richtet sich in Berlin oft an Neukölln
-Recht auf Privatsphäre wird entzogen
-Wie kommt man aus dem Framing raus?
-Denn die direkte Konsequenz daraus, dass der Staat rassistische Morde begünstigt, sind Hanau, Halle, Dessau, …
-So müssen migrantische Personen mehr nicht dokumentierte Arbeit leisten, um weiter Teilhabe an der Gesellschaft zu haben
-Durch die Gentrifizierung kommt es zu Verdrängung an den Stadtrand
-Dabei sind Zeit und Geld große Faktoren → Wer Geld hat, hat Zeit.
Was ist möglich mit Migrations geprägter Stadtgesellschaft?
-Stadtentwicklung sollte mehr Bottom Up gedacht werden
-Das wichtigste ist soziale und migrantische Kämpfe zu verbinden
-Finanzielle Kürzungen betreffen inzwischen alle
-Encounter Narratives schaffen
-Strukturelle Repressionen: gezielte Kürzungen an palästina solidarische Institutionen
-Gezielte Umverteilung von Geld (100 Mrd. Euro in Bundeswehr gesteckt, dafür Geld in Kultur, Soziales gekürzt)
-Krieg im Ausland, bedeutet auch Krieg im Inland
-Obwohl die Räume und UNterstützung immer mehr gebraucht werden
-Es werden immer mehr Allianzen sich bilden müssen
-Hat aber auch was gutes: die Kulturszene = abhängig von staatlicher Hilfe, somit auch von den Diskursen → Unabhängigkeit bietet auch die Möglichkeit politischer zu werden, unabhängig von einer vorgeschriebenen Linie
Welche Best Practice Strategien kennt ihr, die migrantische Perspektiven integrieren?
-Bei einem antihegemonialen Kampf ist das Counter Narrative wichtig. → Selbstorganisierte Form
-Selbstorganisierte Räume sind wichtig, in der Stadt die isolierend aufgebaut ist. Das muss aufgebrochen werden und eine Gegenmacht aufgebaut werden (gegen Rechte Räume). Stadtteilarbeit macht das bspw.
-Wir müssen auch aus dem Panel heraus weiter ins Machen kommen.
Raum für Fragen/Rückmeldungen
-Wie können wir die Kraft von Unten auch Oben verankern?
-Mit Representation allein ist es nicht gemacht, es braucht strukturelle Veränderungen. Macht ist sehr ungleich verteilt.
Workshop 1: Rassismuskritische Stadtgestaltung – Dekoloniale Perspektiven auf den urbanen Raum
mit Rbqa Renz
In diesem Workshop beschäftigten wir uns mit den fortwirkenden Auswirkungen kolonialer Strukturen auf die Gestaltung europäischer Städte. Wir analysierten, wie städtische Planungsprozesse Rassismus und soziale Ungleichheit reproduzieren können, und hinterfragten die Machtverhältnisse, die unsere urbanen Räume prägen. Gemeinsam entwickelten wir Ideen für eine Stadtgestaltung, die diskriminierende Muster aufbricht und Raum für alle schafft. Im Folgenden sind einige thematische Ausschnitte aus dem Workshop zu lesen. Es handelt sich nicht um eine inhaltliche Vollständigkeit, sondern soll vielmehr für eine weitere Auseinandersetzung anregen und Teilnehmenden als Gedankenstütze dienen.
“Rassismus eine globale Machthierarchie, die jahrhundertelang für die
moderne/koloniale
kapitalistische/patriachale
imperiale/westlich
zentrierte Weltordnung politisch produziert und reproduziert wurde” (Grosfoguel, 2011, nach Fanon)
Zu Beginn haben wir uns für eine allgemeine Wissensgrundlage mit “the production of space” auseinandergesetzt, ein Konzept aus der Raumsoziologie, das besagt, dass Räume sozial geprägt und konstruiert werden. Der Raum, den wir begreifen, ist ein homogener Raum und somit besteht die Annahme, dass Räume deckungsgleich sind. Des Weiteren haben wir uns mit “Disciplining the place” befasst, was zahlreiche Rahmenbedingungen, Regularien und Einschränkungen beinhaltet.
Welchen Wert hat der Boden, auf dem ich lebe? Ist er gepachtet, gemietet, kann er mir wieder weggenommen werden?
Aber auch “Global Cities” vs. “Ordinary Cities” haben wir besprochen und hinterfragt.
Wir gehen von einem Standard aus, was diese Städte bieten, was wiederum meine Bedürfnisse deckt. Global Cities bieten ein vermeintlich schnelles und gutes Leben mit optimalen Transportwegen und einer wohlhabenden Bevölkerung, die Schattenseite jedoch ist, dass es ein sehr teures und exklusives Leben bedeutet. Mit diesen Wahrnehmungen und Erwartungshaltungen gehen bestimmte Wertekonzepte einher, die stark eurozentristisch geprägt sind.
Peripherie und Zentrum
Menschen im Zentrum einer Metropole bestimmen, was in der Stadt relevant ist. Was in der Peripherie passiert, ist weniger, bis gar nicht im Fokus. Jedoch ist die Gleichzeitigkeit der Körper das, was die Stadt wichtig und attraktiv macht.
“Decolonizing Urbanism is an epistemic reconstruction to show that there are more forms of understanding the city than eurocentric ones” (Bruns und Gerend, 2018)
Gruppenbrainstorming: Wie materialisiert sich Rassismus im urbanen Raum?
-Zugang zu Wohnraum und Jobs
-Mit der Verschönerung von Straßen einher geht auch eine Bedrohung (Gentrifizierung)
-Preisdifferenzen von Vierteln führt zu Klassismus an den Orten
-Claiming von “kriminalitäts Orten” durch rassistische Kontrollen
-Verschiebung nationalstaatlicher Grenzen in der Stadt (Bsp. Ausweiskontrolle in Schwimmbädern)
-Dienstboteneingänge (Bsp. “Poor Door” in Amsterdam)
-Ortsbezeichnungen und Straßennamen sind geprägt von der kolonialistischen Geschichte
-Darstellungen von Skulpturen und Ornamentik im öffentlichen Raum sind ebenfalls oft eurozentristisch und kolonialistisch geprägt
Kontext Gentrifizierung
Die vermeintliche Verschönerung eines Viertels mag Anfangs mit einem guten Willen verbunden sein, führt jedoch zu Segregation und Verdrängung. Es kann aber auch psychische Folgen haben, da man sich nicht mehr wohl fühlt im Viertel, da die eigene Community verdrängt wurde oder man mit rassistischen Mustern konfrontiert wird. Auch werden zu oft falsche Prioritäten gesetzt, sodass bspw. viel Geld für neue Pflanzkübel ausgegeben werden, aber die Zugänglichkeit wird nicht mitgedacht. Flasche Prioritäten werden auch am Beispiel der Hafencity in Hamburg ersichtlich. Namensbezeichnungen wie das “Cinnamon House” sollen Weltoffenheit darstellen, verdrängen aber den kolonialistischen Hintergrund.
Was sind unsere Alternativen und Möglichkeiten?
-Mietshäusersyndikate
-Koops
-Dezentralisierung von Infrastruktur (Arbeitsplätze, soziale Einrichtungen)
-Religionshaus für Alle
-Kostenfreier Nahverkehr (Erweiterung von ÖPNV, Schulen/Kitas anfahren, ökologischer)
-Kommunaler Aufenthalts unabhängiger Ausweis → “City ID”
→ Zugänge zu öffentlichen Einrichtungen
-Unnötige Orte/Institutionen wie z.Bsp. Heimatministerium abschaffen und stattdessen Wohnraum schaffen
-~10% der Wohnungen und 1,5 qm Bürofläche stehen in Berlin leer
Stadtplanung ist eine Disziplinierung von Raum. Wie können wir das aufbrechen und andere Modelle verwirklichen?
Migration darf nicht nur als ein Diversitäts Aspekt einer Stadt verstanden werden, sondern es müssen wirkliche Räume für und mit Menschen mit Migrationshintergrund geschaffen werden.
Literaturempfehlungen:
“Stadt und Rassismus. Analysen und Perspektiven für eine antirassistische Urbanität” Herausgegeben von Frank Eckardt, Hamidou Maurice Bouguerra (ISBN 978-3-89771-095-5)
“Decolonize the City! Zur Kolonialität der Stadt – Gespräche, Aushandlungen, Perspektiven” Herausgegeben vom Zwischenraum Kollektiv (ISBN 978-3-89771-546-2)
“Design intersektional unter die Lupe nehmen. Gestaltung als Komplize von Diskriminierung und als widerständiges Werkzeug” von Anna Unterstab (ISBN 9783943253559)
Workshop 2: Umweltrassismus dekonstruieren – Eine Berliner Fallstudie
mit Nary
Dieser Workshop untersucht das tief verwurzelte Problem von Umweltrassismus in Berlin. Wir werden die historischen Kontinuitäten der Stadt beleuchten, welche die heutige Landschaft von Umweltungerechtigkeiten geprägt haben. Durch Analyse von Karten und Gruppendiskussionen werden wir Verbindungen zu den verschränkten Diskriminierungsformen ziehen. Gemeinsam ordnen wir die Komplexität Berlins in eine breitere internationale Perspektive ein und erkunden politische Bewegungen, die den Kampf für Umweltgerechtigkeit geprägt haben.
Grundsätzlich wurde sich an der Studie “Umweltatlas Berlin” https://www.berlin.de/umweltatlas/ abgearbeitet. Dieser zeigt verschiedene Umwelteinflüsse, die auf berliner Bürger*innen wirken. Anhand von Karten wird konkret sichtbar, wie sehr einzelne Viertel und Kieze von den Einflüssen betroffen sind.
Vorweg zu nehmen ist hierbei direkt der Faktor der Multiplikation von Einflüssen, bei dem nicht mit einem auf Addieren gearbeitet wurde und nur einzelne Faktoren betrachtet wurden. Ein grundsätzlicher Fehler, der hier durch den Workshop herausgearbeitet wurde. Des Weiteren bestätigte der Workshop und Input durch Nary, den fehlenden Faktor von Class und Race, der in dieser Studie nicht mitgedacht wird. Eine Form von Umweltrassismus wurde hierbei nicht mitgedacht. Umweltrassismus meint in diesem Kontext jede politische Handlung, die schädliche Umwelteinflüsse bewusst an BiPoC aussetzt.
Eine geschichtliche Einordnung zur Umweltgerechtigkeit zeigte den schon in den 50er Jahren erkämpften Begriff der Umweltgerechtigkeit. Dieser wurde vor allem in den USA durch die BiPoC Bevölkerung geprägt. Die globale Forderung: Global Environment Justice
Um sich der Einflüsse nochmal konkret bewusst zu werden, wurde sich die Frage gestellt: “Was spürt ihr jeden Tag an der Umwelt in der Stadt?”
Daraus wurden Erkenntnisse klar, die sich deutlich im Kompass abzeichneten:
Negative Luftbelastung geht Hand in Hand mit Verkehr.
Grünflächen bedeuten nicht gleichzeitig Zugang zu diesen und beschreiben ebenfalls nicht die Qualität dieser.
Eine Mehrfachbelastung wird in der Studie nicht berücksichtigt.
Soziale Marker werden nur bedingt berücksichtigt.
Wichtigster Punkt jedoch ist nicht existierende Berücksichtigung von Rassismus im Kontext der Studie. So lässt sich anhand der S-Bahn-Linie Gesundbrunnen und Hermannstr. eine Verbindung deutlich aufzeigen. Gleichzeitig haben sie eine 40-55% MIgrationsrate und einer der schlechtesten Umwelteinflüsse in Berlin. Gleichzeitig muss sich gefragt werden aus einem historischen Kontext, wer hat entschieden, wer hier wohnen soll?
Ganz klar ist hierbei historische Politiken, wie Siedlungspolitik von “Gastarbeiter*innen” oder “Vertragsarbeiter*innen” prägen bis heute.
Zum Abschluss wurde klar, wie konkret diese Karte uns alle gesundheitlich betrifft. Denn menschliche Schicksale werden nicht mitgedacht, sind aber konkret ein Ergebnis der Einflüsse.
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Profile
Panel:
Zuher Jazmati (er/ihn) ist politischer Bildner, Moderator, DJ und Veranstalter. Zuher studiert in Marburg und Kairo “Politik des Nahen und Mittleren Ostens” und an der London School of Economics “Empires, Colonialism and Globalisation”. Er arbeitet seit vielen Jahren zu den Themen (antimuslimischer) Rassismus, (Kontinuitäten des) Kolonialismus, Queerness und Intersektionalitäten. Zuher arbeitet beim Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.), ist Co-Host von “BBQ – dem BlackBrownQueer Podcast” und Mitgründer der queer-arabischen Partyreihe ADIRA.
Dr. Nora Jasmin Ragab ist eine deutsch.palästinensische Migrationsforscherin und Mitbegründerin des Palästinensischen Feministischen Archivs Berlin. Ihr Forschungsinteresse liegt an den Schnittstellen von Diasporamobilisierung, Konflikten und den sozial-politischen Dynamiken von Vertreibung. Ihre akademische Arbeit befindet sich oft an der Schnittstelle von Forschung, Politik und Praxis und zielt darauf ab, verschiedene Institutionen und Akteure zu informieren. Sie engagiert sich für die Entwicklung von Methoden und Konzepten, die Räume für Selbstermächtigung und zivilgesellschaftliche Organisierung. Am IES ABroad Berlin unterichtet Nora Kruse zu einer Vielzahl migrationsbezogener Themen sowie zur internationalen Politik der WANA-Region.
Aylin Himmetoğlu (sie/ihr) arbeitet in politischen und kreativen Spaces in Berlin und thematisiert dabei Identität und systematische Ausbeutung. In ihrer Arbeit als Kommunikationsmanagerin bei BIWOC* Rising und Teil des Produktionsteams des İÇ İÇE Festivals, einem Festival für neue anatolische Musik, liegt ihr Fokus im Stärken von Räumen für marginalisierte Gruppen. Sie ist in antirassistischen Bewegungen organisiert und politische Bildnerin im Bereich der diskriminierungskritischen Jugendarbeit.
Moderation:
Methu Thavarasa (keine Pronomen) ist deutsch sozialisierte*r Eelam Tamil*in. Seit 2017 widmet sich Methu der politischen Bildung und hat in diesem Bereich eine Vielzahl an Formaten umgesetzt, darunter Argumentationstainings, Fortbildungen und Vorträge zu machtkritischer Kommunikation gegen Rechts, Themen der Antidiskriminierung, Machtkritik und Intersektionalität. Im Bereich prozessorientierter Organisations- und Teamentwicklung setzt Methu verstärkt Schwerpunkte auf diskriminierungssensible und strukturelle Diversitätsentwicklung. Darüber hinaus bietet Methu Empowerment-Trainings für Menschen mit Rassismuserfahrungen an und ist als sensitivity reader und Moderator*in tätig.
Workshopleitung 1 „Koloniale Städte dekolonialisieren“:
Rbqa Renz – Als politische Bildungsreferentin beschäftigt sich Rbqa mit Rassismuskritik und dekolonialen Ansätzen in der Entwicklungszusammenarbeit. Neben Workshops, moderiert sie Podiumsdiskussionen oder Radiosendungen und hat in der Vergangenheit als Projektkoordinatorin für ein dekoloniales Festival gearbeitet. Ihre wissenschaftliche Arbeit im städteplanerischen Kontext (Urban Design MSc an der HafenCity Universität, Hamburg) ergänzt sie mit Projektarbeit in Kollektiven.
Workshopleitung 2: „Umweltrassismus dekonstruieren: Eine Berliner Fallstudie„
Nary ist eine queere Organisator*in für soziale Gerechtigkeit, studiert Ökologie in Berlin und arbeitet freiberuflich in der politischen Bildungsarbeit sowie als Programm-Kurator*in. Nary widmet sich nicht-westlichen Konzepten des Umgangs mit Ökosystemen, um wechselseitige Wege der menschlichen Teilhabe an unserer Natur und Landschaft zu erlernen. Nary ist in verschieden Bewegungen zu anti-Rassismus, queer- und trans-Liberation und Klima- und Umweltgerechtigkeit aktiv.